...7 Sekunden Zeit für den Angriff...!!!!
Aus ARD.DE
Deutsche Einzelmeisterschaften in Gevelsberg
"Tipp Kick ist Nervenkitzel"
Von Jörg Strohschein
Vom Freizeitspaß zum Leistungssport: Bei den Titelkämpfen im Tipp Kick in Gevelsberg zeigen mehr als 200 Sportler, dass ein Schlag auf den Kopf eines Metallspielers eine ernste Sache sein kann.
Das Sportzentrum West ist einer dieser grauen, funktionalen Bauten, wie sie tausendfach in der Republik zu finden sind. Vor der Turnhalle stehen einige junge Männer und Frauen, die offenbar Stress zu bewältigen haben. Sie sind entweder im Gespräch vertieft, rauchen oder fuchteln wild mit Armen in der Luft herum. Sie grinsen oder sind verärgert, sie schimpfen oder juchzen zufrieden. Eines gilt aber für alle: Die Gemüter sind erregt, weil sie die vergangenen Minuten noch einmal durchgehen. Das Thema ist bei allen das gleiche. Es geht um Tipp Kick. Die Pause wird genutzt, um Emotionen abzubauen. Das Spiel ist einfach zu Nerven aufreibend.
Jedes kleine Kind kennt den grünen Filzbelag, an dessen Enden je ein Plastiktor montiert ist und zu dem es je einen Torhüter und einen Feldspieler gibt. Ein Schlag auf den Kopf und der zwölfeckige Ball kann durch ein bewegliches Bein ins Tor befördert werden. Hunderttausende Kinder haben stellvertretend für ihre Lieblingsmannschaften zu Hause in ihren Wohnstuben Spiele ausgefochten. Doch irgendwann gerät Kick Tipp in Vergessenheit.
Mehr als 200 Spieler kämpfen um die Titel
In der Sporthalle Gevelsberg ist das anders. Für mehr als 200 Menschen ist Tipp Kick nach wie vor präsent, es ist sogar zum Mittelpunkt ihrer Freizeit geworden. Es riecht nach Schweiß in der Halle, und die Anspannung bei den Spielern ist fast greifbar. An einem der vorderen der 52 Spieltische feuert sich ein Spieler mit einem leuchtend roten Leibchen ständig selber lautstark an. Weiter hinten sind tiefe Seufzer eines Mannes in Straßenbekleidung nach einer verpassten Torchance zu vernehmen. Zweimal fünf Minuten bekämpfen sich die Kontrahenten, hunderte Spiele müssen an zwei Tagen absolviert werden.
"Hier geht es ordentlich zur Sache. Das ist ein anstrengender Sport. Dieses Spiel übt einfach eine große Faszination aus", sagt Francisco Barate. Der 42-Jährige ist Sprecher des TKC Gevelsberg, dem Ausrichter der diesjährigen Deutschen Einzelmeisterschaften im Tipp Kick, den 44. überhaupt. Eines haben jedenfalls alle Teilnehmer gemeinsam. "Hier interessiert sich jeder für Fußball", sagt Barate. Aber warum gehen die Spieler nicht raus und laufen selbst dem runden Leder nach?
Deutscher Meister könnte sich auch Weltmeister nennen
Norman Koch ist ein junger, äußerst schlanker Mann, der wohl keine Probleme hätte, auf einem echten Fußballplatz eine gute Figur abzugeben. Früher habe er auch Fußball gespielt. Aber das habe ihm nicht ausgereicht. "Hier bin ich Torwart, Angreifer, Verteidiger, Trainer und Mannschaftsarzt in einer Person", sagt Koch. "Das ist viel kreativer".
Sechs Deutsche Einzeltitel und elf Mannschaftstitel mit seinem Verein Blau-Weiß Concordia Lübeck hat Koch schon errungen. Man könnte ihn auch Welt- oder Europameister nennen. Weil Tipp Kick eine deutsche Domäne ist und internationale Wettbewerbe nicht ausgetragen werden. Koch ist Deutschlands Nummer eins. Seine Vorzüge: "Meine Stärken liegen im mentalen Bereich. Ich kann mich auch noch voll konzentrieren, wenn es ganz eng wird", sagt er: "Tipp Kick ist Nervenkitzel." 1000 Euro im Jahr investiert er in Turniere und Bundesligaspiele, dreimal wöchentlich steht Training an. Alle Spieler müssen für ihre Anreise und Unterkunft selber sorgen, alle starten aus purem Idealismus.
Klare Regeln gegen Zeitspiel und Ärger
Rund 350 Vereine gibt es derzeit in Deutschland, die in Verbands-, Regional-, 2. und 1. Bundesliga gegeneinander antreten. Die Regeln sind denen des Fußalls ähnlich, allerdings hat ein Angreifer nur sieben Sekunden Zeit, seinen Schuss auszuführen. "Früher gab es einige Leute, die hier ganz heftig auf Zeit gespielt haben. Da gab es richtig Ärger, diese Regel musste eingeführt werden", lächelt Francisco Barate. Der Ehrgeiz, sagt der Vereinssprecher, ist bei den Spielern enorm. Auch bei den Spielerinnen.
Erfolg ganz ohne Training
Kristin Mozelewski, die Nummer drei der deutschen Damenrangliste, hat Erfolg ganz ohne Training. Weil sie als Vertriebsmitarbeiterin beruflich sehr angespannt ist. "Meinen Mann kann ich nur an den Wochenenden sehen. Der spielt auch, und da habe ich gedacht, ich fange ebenfalls mal an", sagt die 32-Jährige, die für Celtic Berlin antritt. Das war vor eineinhalb Jahren.
Sie habe offenbar Talent, sagt sie. Technik, Taktik und weibliche Raffinesse haben sie nach vorne gebracht. Frauen treten bei den Wettbewerben gegen Männer an - und gegen Kinder. Der neunjährige Ivo Pulice ist ein Nachwuchsspieler, der auch an den Meisterschaften teilnehmen darf. Wie in vielen Sportarten gibt es Nachwuchsprobleme. Ivo weiß noch nicht so genau, ob er nicht lieber Fußball spielt oder doch Tipp Kick. Spannend findet er beides.
Stand: 05.10.2009, 08:31
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